"It was the summer when a president's penis was on everyone's mind, and life, in all its shameless impurity, once again confounded America" (3). Je weiter die Causa Clinton und Lewinsky zurückliegt, mittlerweile sind es zehn Jahre, desto absurder erscheint es, wieso ein ganzes Land und die ganze Welt derart davon besessen war, was ein Mann und eine Frau unter Zuhilfenahme von diversen Körperteilen unter Zweckenfremdung von Rauchwaren getrieben haben. Vor diesem Hintergrund lässt Philip Roth seinen im Jahr 1998 erschienenden Roman "The Human Stain" spielen, der auf faszinierend-mitreißende Art und Weise die Lebenslüge eines Mannes aufdeckt und nebenbei die Oberflächlichkeit und Heuchelei eines Amerikas offenbart, welche für uns alte Europäer in weiten Teilen nicht zu erschließen ist.
Coleman Silk war jahrelang ein höchst erfolgreicher Professor für Altphilologie am Athena College an der amerikanischen Ostküste, bis er aufgrund einer Lappalie seinen Posten räumen musste. Über zwei Studenten, die bisher zu keiner seiner Seminarsitzungen erschienen waren, bemerkte er: "Does anyone know these people? Do they exist or are they spooks?" (6) Dieser Satz bringt Coleman eine Rassismusklage ein, da "spooks" primär zwar "Geist" bedeutet, jedoch auch eine abfällige Bezeichnung für Afro-Amerikaner darstellt. Coleman verliert seinen Job und seine Frau stirbt an den Folgen der Hetzkampagne gegen ihren Mann. In seinem Hass und seiner Trauer wendet sich Coleman an den in aller Abgeschiedenheit lebenden Schriftsteller Nathan Zuckerman, der allen Kennern von Roths Büchern bereits bestens bekannt ist. Zuckerman ist eine Art fiktionales alter ego von Philip Roth und tauchte bisher in neun seiner Romane auf, darunter in der frühen Zuckerman-Trilogie mit den Einzelromanen The Ghost Writer, Zuckerman Unbound und The Anatomy Lesson. Ihm vertraut sich Coleman an und durch eigene Nachforschungen im Freundes- und Familienkreis von Coleman Silk kommt Zuckerman einem unfassbaren Geheimnis auf die Spur, welches am Beginn der Karriere des Professors steht.
Colemans Geheimnis, welches er weder seiner Frau, noch seinen Kinder und engsten Freunden mitgeteilt hat, ist, dass er selbst afro-amerikanischer Herkunft ist, dieses aufgrund seiner hellen Hautfarbe aber in der Lage war zu vertuschen. Was bewegte ihn zu dieser Entscheidung? Wieso teilte er sich nie jemanden mit? Wieso brach er mit seiner eigenen Familie, um sein Geheimnis bewahren zu können? Wieso opferte er am Ende sogar seinen Ruf und seine Karriere aufgrund eines Missverständnisses, welches er mit einem Hinweis auf seine Herkunft hätte beseitigen können? Und viel interessanter noch: Was ist das eigentlich für eine Gesellschaft, in der ein Mann überhaupt auf die Idee kommen kann, seine gesamte berufliche und private Existenz auf solch einer Lüge aufzubauen? Eine Lüge, die ihm keine Ruhe lässt, eine Lüge, die seinen längst verstorbenen Vater wieder zu ihm sprechen lässt: "Look where he had come to hide. And how? Why? Because of his credo, because of his insolent, arrogant 'I am not one of you, I can't bear you, I am not part of your Negro we' credo. The great heroic struggle against their we - and look at what he now looked like! The passionate struggle for precious singularity, his revolt against the Negro fate - and just look where the defiant great one had ended up! Is this where you've come, Coleman, to seek the deeper meaning of existence? A world of love, that's what you had, and instead you forsake it for this! The tragic, reckless thing that you've done! And not just to yourself - to us all. [...] To me in my grave. To my father in his. What else grandiose are you planning, Coleman Brutus? Whom next are you going to mislead and betray?" (183)
Man sollte mit der Verteilung von Superlativen immer vorsichtig sein, aber "The Human Stain" verdient meiner Ansicht nach gleich aus mehreren Gründen das Prädikat Meisterwerk. Mit sprachlicher Brillanz führt uns Roth zu dem Geheimnis eines Mannes, der bereit ist, sein eigenes Leben auf dem Altar dieses Geheimnis zu opfern. Erzähler des Romans ist Nathan Zuckerman, der auch als eine am Plot beteiligte Figur die Faszination und Ratlosigkeit ob der Person des Coleman Silk, die sich beim Leser breit macht, am eigenen Leib erfährt. Die Frage nach dem "Warum", nach Colemans Motiven, beantwortet der Roman nicht, sondern überlässt dies dem Leser und gerade diese geniale Konstruktion von Lücken, die es auszufüllen gilt, ist es, was große Literatur schlussendlich ausmacht. Es wird höchste Zeit, dass Roth mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wird. Vielleicht ja im nächsten Jahr...
Reviewed By A2XNMOWWEW7YS2Coleman Silk war jahrelang ein höchst erfolgreicher Professor für Altphilologie am Athena College an der amerikanischen Ostküste, bis er aufgrund einer Lappalie seinen Posten räumen musste. Über zwei Studenten, die bisher zu keiner seiner Seminarsitzungen erschienen waren, bemerkte er: "Does anyone know these people? Do they exist or are they spooks?" (6) Dieser Satz bringt Coleman eine Rassismusklage ein, da "spooks" primär zwar "Geist" bedeutet, jedoch auch eine abfällige Bezeichnung für Afro-Amerikaner darstellt. Coleman verliert seinen Job und seine Frau stirbt an den Folgen der Hetzkampagne gegen ihren Mann. In seinem Hass und seiner Trauer wendet sich Coleman an den in aller Abgeschiedenheit lebenden Schriftsteller Nathan Zuckerman, der allen Kennern von Roths Büchern bereits bestens bekannt ist. Zuckerman ist eine Art fiktionales alter ego von Philip Roth und tauchte bisher in neun seiner Romane auf, darunter in der frühen Zuckerman-Trilogie mit den Einzelromanen The Ghost Writer, Zuckerman Unbound und The Anatomy Lesson. Ihm vertraut sich Coleman an und durch eigene Nachforschungen im Freundes- und Familienkreis von Coleman Silk kommt Zuckerman einem unfassbaren Geheimnis auf die Spur, welches am Beginn der Karriere des Professors steht.
Colemans Geheimnis, welches er weder seiner Frau, noch seinen Kinder und engsten Freunden mitgeteilt hat, ist, dass er selbst afro-amerikanischer Herkunft ist, dieses aufgrund seiner hellen Hautfarbe aber in der Lage war zu vertuschen. Was bewegte ihn zu dieser Entscheidung? Wieso teilte er sich nie jemanden mit? Wieso brach er mit seiner eigenen Familie, um sein Geheimnis bewahren zu können? Wieso opferte er am Ende sogar seinen Ruf und seine Karriere aufgrund eines Missverständnisses, welches er mit einem Hinweis auf seine Herkunft hätte beseitigen können? Und viel interessanter noch: Was ist das eigentlich für eine Gesellschaft, in der ein Mann überhaupt auf die Idee kommen kann, seine gesamte berufliche und private Existenz auf solch einer Lüge aufzubauen? Eine Lüge, die ihm keine Ruhe lässt, eine Lüge, die seinen längst verstorbenen Vater wieder zu ihm sprechen lässt: "Look where he had come to hide. And how? Why? Because of his credo, because of his insolent, arrogant 'I am not one of you, I can't bear you, I am not part of your Negro we' credo. The great heroic struggle against their we - and look at what he now looked like! The passionate struggle for precious singularity, his revolt against the Negro fate - and just look where the defiant great one had ended up! Is this where you've come, Coleman, to seek the deeper meaning of existence? A world of love, that's what you had, and instead you forsake it for this! The tragic, reckless thing that you've done! And not just to yourself - to us all. [...] To me in my grave. To my father in his. What else grandiose are you planning, Coleman Brutus? Whom next are you going to mislead and betray?" (183)
Man sollte mit der Verteilung von Superlativen immer vorsichtig sein, aber "The Human Stain" verdient meiner Ansicht nach gleich aus mehreren Gründen das Prädikat Meisterwerk. Mit sprachlicher Brillanz führt uns Roth zu dem Geheimnis eines Mannes, der bereit ist, sein eigenes Leben auf dem Altar dieses Geheimnis zu opfern. Erzähler des Romans ist Nathan Zuckerman, der auch als eine am Plot beteiligte Figur die Faszination und Ratlosigkeit ob der Person des Coleman Silk, die sich beim Leser breit macht, am eigenen Leib erfährt. Die Frage nach dem "Warum", nach Colemans Motiven, beantwortet der Roman nicht, sondern überlässt dies dem Leser und gerade diese geniale Konstruktion von Lücken, die es auszufüllen gilt, ist es, was große Literatur schlussendlich ausmacht. Es wird höchste Zeit, dass Roth mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wird. Vielleicht ja im nächsten Jahr...
This review was cited from Amazon.de.
This item was also found at:
Amazon.com
Amazon.co.uk
Amazon.fr
Amazon.de
Amazon.co.jp
Google Books
Compare prices across all Amazons at AmazonDotStar.
No comments:
Post a Comment